Selbstorganisierende Teams kommen besser mit komplexen Rahmenbedingungen klar, sie können sich schnell adaptieren und sind im Idealfall auch resilienter. Selbstorganisation passiert aber nicht einfach so, sondern benötigt einige Fähigkeiten und Voraussetzungen. Eine davon ist die Rollenklarheit: es ist klar, wer was macht.
Wer macht denn was? Wenn es darum geht, die Tätigkeiten einer Stelle zu beschreiben, wird häufig die Stellenbeschreibung hergezogen. Wikipedia sagt dazu:
“Eine Stellenbeschreibung oder auch Arbeitsplatzbeschreibung ist eine personenneutrale schriftliche Beschreibung einer Arbeitsstelle zu ihren Arbeitszielen, Arbeitsinhalten, Aufgaben, Kompetenzen und Beziehungen zu anderen Stellen.”
Hand aufs Herz: Wie gut passt deine Stellenbeschreibung zu deiner realen Tätigkeit im Team? Meiner Beobachtung nach hilft sie nicht bei der operativen Koordination der Arbeit im Team, sondern ist lediglich eine Funktionsbeschreibung in einem Organigramm.
Halten wir fest: In einem selbstorganisierten Team muss klar sein, wer welche Aufgaben und Verantwortung im Arbeitsalltag übernimmt(Rollenklarheit), sonst kann es zur Verantwortungsdiffusion kommen. Aufgrund der häufig vorhandenen Dynamik der Aufgaben und der Vielfalt der Tätigkeiten im operativen Alltag kann das die Stellenbeschreibung nicht leisten.
Was unterscheidet eine Position von einer Rolle?
Die Position entspricht der Stellenbeschreibung und damit dem Kästchen im Organigramm. In einem Entwicklungsteam könnten es beispielsweise sechs “Softwareentwickler” sein. Typische Positionen sind auch “Teamleiter”, “Key Account Manager” etc. Positionen sind fest vergeben, ein Wechsel ist eher mit viel Aufwand verbunden.
Eine Rolle beschreibt dagegen einen konkreten Verantwortungs-, oder Tätigkeitsbereich im operativen Alltag des Teams bzw. des Rolleminhabers. Bei der Beschreibung ist es entscheidend, die wirklichen Zuständigkeiten zu erfassen. Rollen sind fluide und werden entsprechend der Wertschöpfung gestaltet.
Hört sich einfach an? Ich beobachte, dass der Wechsel in der Denkweise von Stellen zu Rollen schwer fällt – weil es eben ungewohnt ist. Häufig wird Stelle durch Rolle ausgetauscht und schon gibt es eine Rolle “Softwareentwickler”, oder “Projektleiter”. Aber Rollen entsprechen nicht einfach den Positionen im Organigramm!
Rollen am Beispiel der Reviewpräsentation
Ich möchte das am Beispiel eines Entwicklungsteams darstellen: ein Team aus Softwareentwicklern entwickelt ein Softwareprodukt. Alle zwei Wochen muss eine Präsentation im Review vorbereitet und gehalten werden.
Mit einer Rolle “Softwareentwickler” kommen wir hier nicht weiter, sechs Teammitglieder hätten diese Rolle und es müsste jedesmal abgesprochen werden, wer die Präsentation übernimmt. Das kostet Zeit.
Nun kommen die Rollen ins Spiel. Das Team definiert eine neue Rolle „Review Präsentation“ und weist dieser Rolle konkrete Zuständigkeiten zu, z.B.:
- Sammeln aller Features aus der letzten Iteration
- Erstellung einer Präsentation bzw. einer Vorlage
- Auswahl einer geeigneten Präsentationssoftware
Diese Rolle wird dann einer(bzw. sehr wenigen) Personen mit einem Verfahren(bspw. mit einer kollegialen Rollenwahl) zugewiesen. Durch die Zuweisung ist nun klar, wer die Zuständigkeit für die Präsentation hat. Mit der Rolle kommt auch eine Entscheidungsautonomie einher: der Träger einer Rolle darf innerhalb dieser Rolle Entscheidungen treffen, ohne sich mit anderen Kollegen abstimmen zu müssen. Im Falle der Präsentation darf die Rolle entscheiden, mit welchem Tool die Präsentation erstellt wird.
Es geht bei der Rollenerstellung nicht darum, kleinste Aufgaben in Rollen zusammenzufassen, oder nur eine Rolle für alle zu gestalten: die Qualität von Rollen lässt sich daran messen, wie gut sie die Arbeitsorganisation unterstützen und Verantwortlichkeiten verteilen.
Rollen sind wie Kleidungsstücke: wir können viele Rollen tragen und auch wieder ablegen, wenn sie nicht mehr passen. Das Team kann sie verändern, wenn sie dem Kontext nicht mehr angemessen sind. Mit Positionen ist das nicht möglich.
Halten wir fest: eine Rolle ist nicht einfach nur ein anderer Name für eine Stelle, sie stellt eine konkrete Beschreibung der Verantwortlichkeiten dar. Zur Orientierung:
- Rollen beschreiben einen konkreten Handlungsrahmen
- Eine Person kann mehrere Rollen einnehmen, aber nur eine Position
- Sie helfen, den Arbeitsalltag zu organisieren, in dem die Erwartungen klar formuliert werden
- Sie werden bewusst nur von einer, oder sehr wenigen Personen eingenommen
Der letzte Punkt könnte Fragen aufwerfen. Ist dann “Softwareentwickler” eine Rolle in einem Team von Softwareentwicklern?
Rolle für einen oder viele?
Rollen sollen aus meiner Sicht helfen, den Betriebsablauf zu koordinieren. Haben alle die gleiche Rolle, kann es zu Verantwortungsdiffusion kommen: eine Aufgabe wird nicht gemacht, obwohl genügend Personen da wären. Jeder denkt, ein anderer würde die Aufgabe machen.
Werden Rollen nun bewusst an eine oder zumindest wenige Personen verteilt, ist klar, wer die Verantwortung trägt.
Ziel der Rollen sollte es sein, den Arbeitsablauf zu verbessern. Aus der Erfahrung heraus macht es Sinn, Rollen zu erstellen, die sich auf möglichst wenig Personen verteilen, um Abstimmungskosten zu reduzieren und Verantwortungsdiffusion entgegenzuwirken.
Wann eignen sich Rollen?
Rollen eignen sich gut für wiederkehrende Aufgaben, denn der Inhaber einer Rolle kann die Aufgabe durchführen, ohne sich weiter im Team abstimmen zu müssen.
Damit ist die Gestaltung der Rollen im Team gleichzeitig eine bewusste Gestaltung der Arbeitsorganisation. Wer übernimmt welche Aufgaben? Welche Aufgaben werden nicht verteilt, sondern immer zusammen besprochen und verteilt?
Was ist der Vorteil von Rollen?
Rollen werden vom Team definiert und vergeben. Das bedeutet, dass die Rollen besser zum Team passen, als zentral verwaltete Beschreibungen, die selten oder auch gar nicht verändert werden.
Rollen lassen sich leichter verändern als Positionen, da sie in der Verantwortung des Teams liegen, das sie erstellt und verwaltet. Sie sind fluide.
Wie Kleidungsstücke auch, können sie angelegt und auch wieder abgelegt werden. Entsprechende Prozesse im Team müssen dann aber sicherstellen, dass es nicht zu einem Führungsvakuum kommt, wenn Rollen nicht mehr ausgefüllt werden. (z.B. die Präsentation nicht mehr vorbereitet wird)
Wichtig für die Annahme der Rollen ist das Erkennen der Notwendigkeit der Aufgabe durch den Rollenträger, denn durch die Rolle erhält der Inhaber Führungsverantwortung. Er muss sich der Konsequenz des (Nicht-)Handelns bewusst sein.
Rollen sind wichtig für die Fähigkeit zur Selbstorganisation in einem Team. Sie sind flexibel und können mit kollaborativen Techniken wie der kollegialen Rollenwahl im Team verteilt werden.
… und die Nachteile?
Zuviele kleinteilige Rollen können die Abstimmung im Team eher behindern als fördern. Auch braucht es eine kontinuierliche Pflege des Rollensystems, was durchaus auch mit Aufwand verbunden ist. So beschreibt Stefan Kühl in dem Buch „Schattenorganisation“ die Auswirkungen von überbordenen Rollendefinitionen. (dazu mehr in einem folgenden Beitrag)
Es ist also darauf zu achten, die Rollen praxistauglich zu gestalten und regelmäßig zu aktualisieren.